„Ich habe es nicht als Historiker geschrieben, sondern als Mitmensch“

Christine Kau und Tina Lackner vom Büro für Leichte Sprache der Gemeindediakonie Mannheim konnten vor kurzem ein außergewöhnliches Projekt umsetzen: Gemeinsam mit Prof. Hiram Kümper und Benedikt Bego-Ghina vom Historischen Institut der Universität Mannheim wurde das Projektseminar „Mannheimer Stadtgeschichte in Leichter Sprache“ für Masterstudenten angeboten. Auf den ersten Blick ein gewagtes Unternehmen, schließlich sind historische Texte nicht gerade für ihre Einfachheit bekannt. Aber gerade das ist die Herausforderung und die spannende Aufgabe, der sich die 15 Studierenden stellten. Die komplexen, historischen Zusammenhänge so zu erklären und in Leichter Sprache zu übersetzen, dass sie allgemeinverständlich sind.

Das Beispiel der Ersterwähnung Mannheims liest sich z.B. in Leichter Sprache folgendermaßen:

Die Mönche haben aufgeschrieben:
Udo und Raffold verkaufen uns Land bei Mannheim im Jahr 766.
Deshalb wissen wir:
Im Jahr 766 gab es schon ein Dorf mit dem Namen Mannheim.
In dem Buch steht der Name von Mannheim zum ersten Mal.
Mannheim gibt es schon länger.
Aber niemand hat vorher den Namen aufgeschrieben.

 

Aus den Einzelbeiträgen der Studierenden – von der Gründung Mannheims bis zur Gegenwart – soll am Ende des Seminars ein Buch entstehen. Dieses wird vorab natürlich vom Büro für Leichte Sprache sowie den kritischen Testlesern aus der Gemeindediakonie Mannheim geprüft.

Prof. Kümper kam bei einer Fortbildung mit dem Thema Leichte Sprache in Berührung, das insbesondere im Kulturbereich noch wenig Beachtung findet. Eine der Ausnahmen ist der Museumsbetrieb; hier wird immer mehr auf die Zugänglichmachung von Texten und Informationen geachtet, um so Menschen ohne bzw. mit geringen Lesekenntnissen die Teilhabe zu ermöglichen. „Die Leichte Sprache ist ehrlicher, weil wir durch die alltägliche und auch durch die wissenschaftliche Sprache die Verantwortlichkeit oftmals verschleiern, ohne es zu wollen“, erklärt Kümper. „Festungen werden nicht einfach irgendwie gebaut, sondern um Krieg zu führen. Wenn eine Stadt durch Industrie und Handel reich wird, heißt das nicht, dass es allen gut geht. Und Hitler war nicht allein in Polen.“ Leichte Sprache erzwingt eine Konkretisierung, eine Eindeutigkeit im Geschriebenen. Und manchmal auch, das noch einmal klar zu benennen, was einem zunächst selbstverständlich erscheint.

Die Studierenden sind angetan von dem Projektseminar: die wenigsten hatten bisher Berührungspunkte mit der Leichten Sprache und so mancher auch Vorurteile. Aber: „Die notwendige Reduzierung des Inhalts führt zu einer größeren Präzision“, beschreiben die Studierenden ihren Erkenntnisgewinn. Somit hat sich auch der Blick auf eigene wissenschaftliche Werke geändert. So manches Detail wird wohl in Zukunft gestrichen, denn schließlich geht es um die grundlegenden Zusammenhänge. Den leisen Vorwurf von „Unterkomplexität“ können die Studierenden jedenfalls entkräften. Nicht jede Jahreszahl ist so wichtig, dass sie tatsächlich in den Text muss. Auch eine neue Erfahrung für die detailtreuen Historiker.

Christine Kau und Tina Lackner, die das Büro für Leichte Sprache seit 2014 in der Gemeindediakonie Mannheim betreuen, erklärten am Anfang des Semester ausführlich die Regeln und Notwendigkeiten der Leichten Sprache und gingen in Einzelarbeit die studentischen Übersetzungen der Mannheimer Stadtgeschichte durch. Die fertigen Texte stießen bei den Testlesern auf große Begeisterung. Das Buch, das 2019 erscheinen soll, wird also mit großer Vorfreude erwartet.

Am Donnerstag, den 7. Februar wird Campus TV (RNF) ab 19.30 Uhr über diese besondere Zusammenarbeit ausführlich berichten. Schauen Sie rein!